Band 1
Ulrich Kautz
Aktiv und Passiv im Deutschen und Chinesischen
Eine konfrontativ übersetzungswissenschaftliche Studie
Die vorliegende Arbeit zu den Genera verbi im Deutschen und Chinesischen versteht sich als eine kontrastiv-übersetzungswissenschaftliche Studie. Sie ist in erster Linie gedacht für Chinesisch-Lehrkräfte, die darin nützliches Hintergrundmaterial für die Konzipierung von Übersetzungsübungen und generell für die Erarbeitung von Lehrmaterial finden werden. Dies erklärt die Anwendung der konfrontativen (kontrastiven) Methode, mit der interlinguale Entsprechungsbeziehungen zwischen dem Deutschen und dem Chinesischen ermittelt werden sollen. Die in Kapitel 5 behandelten typischen Übersetzungsäquivalente werden Personen, die sich professionell mit dem Übersetzen Deutsch-Chinesisch/Chinesisch-Deutsch beschäftigen, die Wahl zwischen verschiedenen möglichen Varianten erleichtern, wenn sie in ihrer täglichen Arbeit mit den behandelten Strukturen konfrontiert sind.
Das gewählte Verfahren - eine Kombination von bilateraler und unilateraler Konfrontation - hat den Autor veranlaßt, eine funktional-semantische Kategorie „Darstellungsperspektive" als tertium comparationis und Oberbegriff für agensorientierte und nichtagensorientierte Darstellungsweisen zu etablieren. Die sprachlichen Mittel des heutigen Deutsch und des heutigen Chinesisch, mit denen der Sprachbenutzer die unterschiedlichen Darstellungsweisen ausdrückt, werden detailliert beschrieben. Dabei ergibt sich für das Deutsche ein unkonventionelles Bild der Beziehungen zwischen dem Aktiv und dem Passiv einerseits und den agensorientierten und nichtagensorientierten Darstellungsweisen andererseits. Für das Chinesische wird zum ersten Mal eine systematische Übersicht über die hier relevanten sprachlichen Mittel gegeben. Im Laufe der Untersuchung werden neuartige Antworten gegeben auf solche Fragen wie: Gibt es die Kategorie Genus verbi im modernen Chinesisch? Was ist der linguistische Status von bei? Wann sollte bei benutzt werden? Wann nicht? Welche Alternativen hält die Sprache bereit? U. a. m.
Daneben werden im Zusammenhang mit der Untersuchung der Darstellungsperspektive eine Reihe anderer Probleme behandelt, die für Sinolinguisten von Interesse sein dürften: vorangestellte Objekte; nachgestellte (= dem prädikativen Verb folgende) Subjekte; Thema vs. Subjekt; Beziehungen zwischen Darstellungsperspektive und Aspektualität; bestimmte und unbestimmte Substantive und ihre Rolle im Satz; etc.
Der Autor vermeidet so weit wie möglich das in wissenschaftlichen Arbeiten so häufig anzutreffende „Linguisten-Chinesisch" und illustriert darüber hinaus jede seiner Feststellungen mit einer Fülle von Beispielen aus einem Korpus chinesischer und deutscher Textsegmente. Alle zitierten Belege werden außer in Schriftzeichen auch in Pinyin-Umschrift (in Lateinbuchstaben) gegeben, so daß auch interessierte Nicht-Sinologen der Darstellung folgen können.
Selbst ein erfahrener Übersetzungswissenschaftler und -praktiker (der u. a. mehrere moderne chinesische Romane ins Deutsche brachte), war der Autor der vorliegenden Studie in den siebziger und achtziger Jahren an der Ausbildung deutscher Studierender zu Chinesisch-ÜbersetzerInnen und -DolmetscherInnen an der Humboldt-Universität zu Berlin beteiligt.
Abstract
Dealing with the active and passive voices of the verb in the German and Chinese languages, this is a study in confrontative linguistics and translatology. It is primarily meant for the teacher of Chinese, who may find in it useful background material for translation courses and the preparation of teaching materials in general. It is for this reason, too, that the confrontative method (or contrastive method, as many prefer to say) is used for establishing interlingual correspondence rules between the German and Chinese languages. The typical translation equivalents of German active and passive structures discussed in Chapter 5 will help the professional translator making his choice among several possible variants when confronted with the problem of translating similar structures in his own day-to-day work.
The combination of bilateral and unilateral confrontation of language material practised in this paper makes it necessary for the author to establish a functional-semantic category "presentation perspective" as a tertium comparationis which, in its turn, enables him to classify agentoriented and non-agent-oriented modes of presentation. The linguistic means that modern German and modern Chinese provide for the language user to express these different modes of presentation are described in some detail. This description results in a less than conventional picture of the relations between the German active and passive voices, on the one hand, and the agent-oriented and non-agent-oriented modes of presentation, on the other, whereas with regard to modern Chinese a systematic survey of the linguistic means concerned is provided for the first time. In the process, new light is shed on questions such as the following: Is there a category "voice" in modern Chinese? What is the linguistic status of bei? When should bei be used? When should bei not be used? What alternatives does the language provide?, to mention just a few.
As a by-product of the author's research into his subject a number of other related questions facing sinological linguists are also touched upon, e.g.: objects preceding the subject; subjects following behind predicative verbs; topic vs. subject; relations between mode of presentation and aspectuality; determinate and indeterminate nouns and their roles within the sentence; etc.
The author makes a special point of avoiding, as far as possible, the "linguistic Chinese" that so often encumbers scientific treatises and, what is more, goes out of his way to illustrate every one of his points with a host of examples chosen from a corpus of Chinese and German text segments.
Pinyin transcription (in Latin letters) is provided for all examples quoted, so even non-sinologists interested in the subject are in a position to follow the argument.
An experienced translator and translatologist himself, the author has been teaching German students of the Chinese language at Humboldt University, Berlin, G.D.R., for more than a decade, besides publishing a number of German translations of modern Chinese literary texts.